Schwundgeld: Die Revolution der Geldentwertung und ihre Auswirkungen
Schwundgeld soll die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (also wie häufig es den Besitzer wechselt) erhöhen, die Wirtschaft ankurbeln und wirtschaftliche Stabilität fördern. Obwohl das Konzept seit über einem Jahrhundert in verschiedenen Formen und Experimenten auftaucht, konnte es sich trotz seiner theoretischen Vorteile in der Praxis nicht langfristig durchsetzen.
Heute werfen wir einen Blick auf Schwundgeld, seine Funktionsweise und seine Vor- und Nachteile. Wir vergleichen es mit anderen Währungsformen, analysieren, warum es bisher nicht funktioniert hat, und untersuchen, wo es sinnvoll eingesetzt werden könnte.
Was ist Schwundgeld?
Schwundgeld ist eine Form von Währung, die nicht nur durch Inflation, den Wechselkurs oder die Wirtschaftslage an Wert verlieren kann, sondern zusätzlich gezielt an Wert verlieren soll, wenn es nicht ausgegeben wird.
Dies geschieht durch einen eingebauten Mechanismus, den ‘Schwund’, bei dem regelmäßig ein kleiner Prozentsatz des Wertes verloren geht. Dieser Wertverlust, oft als ‘Umlaufsicherungsgebühr’ oder negative Zinsen bezeichnet, motiviert die Menschen, das Geld schneller auszugeben oder zu investieren, anstatt es zu horten. Dies soll die Wirtschaft ankurbeln und deflationäre Tendenzen verhindern.
Historische Entwicklung: Silvio Gesell und seine Theorien zur Geldreform
Silvio Gesell, ein deutsch-argentinischer Kaufmann, entwickelte die Theorie des Schwundgelds im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Er argumentierte, dass traditionelle Währungen dazu neigen, gehortet zu werden, wodurch wirtschaftliche Krisen entstehen können. Sein Ansatz würde dieses Problem seiner Meinung nach lösen, weil es den Anreiz zum Horten von Geld beseitigt.
Silvio Gesell war ein Pionier in der Geldreform. Seine Theorien beinhalteten auch die Trennung von Boden und Kapital sowie die Einführung einer Freiland- und Freigeldwirtschaft.
Wenn du mehr über Silvio Gesell wissen willst, habe ich dir hier den Wikipedia Artikel zu ihm verlinkt.
Möglichkeiten zur Umsetzung von Schwundgeld
In der Praxis kann eine Umsetzung beispielsweise so aussehen:
- Zeitbasierte Gebühr: Eine Methode ist die Einführung einer Gebühr, die in regelmäßigen Abständen anfällt. So könnten etwa 100 Einheiten einer Währung am Ende jedes Monats 1 Einheit an Wert verlieren.
- Stempel oder Aufkleber: So funktionierte das Wörgler Freigeld in den 1930er Jahren. Die Nutzer mussten regelmäßig Marken oder Stempel kaufen und auf die Geldscheine kleben. Wurde dies nicht getan, so verloren die Scheine ihren Wert.
- Elektronische Implementierung: Heutzutage wäre es recht einfach, Schwundgeld elektronisch zu verwalten. Durch eine entsprechende Software oder die sich dafür anbietende Blockchain könnte man den Schwund des Geldes sehr gut bestimmen, verändern und regeln.
Vergleich mit herkömmlichem Geld
Im Gegensatz zu herkömmlichem Geld, das normalerweise durch Zinssätze oder wirtschaftliche Faktoren beeinflusst wird, bringt Schwundgeld einen unmittelbaren und messbaren Anreiz, das Geld auszugeben.
Während bei traditionellem Geld die Geldmenge oft durch zentrale Banken und Zinssätze reguliert wird, sorgt Schwundgeld durch seinen inhärenten Wertverlust dafür, dass Geld im Umlauf bleibt und nicht in großen Mengen gehortet wird.
Historische Beispiele und Fallstudien
Im Folgenden möchte ich ein paar reale Beispiele aus der Vergangenheit aufzeigen.
Der Fall Wörgl
Im Juli 1932 führte die Stadt Wörgl unter Michael Unterguggenberger, der auch als Wörgler Freigeld-Bürgermeister bezeichnet wird, in Österreich ein Experiment mit Schwundgeld durch, um die lokale Wirtschaft in der Zeit der großen Depression anzukurbeln. Offiziell wurde das Schwundgeld als “Arbeitsbestätigungsschein” bezeichnet.
Die Stadt stellte eine spezielle Währung aus, die eine regelmäßige Schwundgebühr beinhaltete. Hierbei musste das Geld alle paar Monate neu gestempelt werden, um seinen Wert zu erhalten. Diese Maßnahme führte zu einer bemerkenswerten wirtschaftlichen Belebung der Stadt und half, Arbeitslosigkeit zu reduzieren.
Das Experiment wurde nach etwas über einem Jahr im September 1933 eingestellt, als die österreichische Zentralbank das Vorgehen als illegal erklärte.
Warum wurde das Schwundgeld in Wörgl abgeschafft?
Das Wörgler Freigeld wurde von der Zentralbank wohl aus mehreren rechtlichen wie auch wirtschaftlichen Gründen verboten:
- Gesetzliche Vorgaben: Die Ausgabe von Geld ist in den meisten Ländern, einschließlich Österreich, das Monopol der Zentralbank. Private oder kommunale Initiativen zur Geldschöpfung waren und sind gesetzlich nicht erlaubt, da sie das offizielle Währungssystem untergraben könnten.
- Monetäre Kontrolle: Die Zentralbank muss die Kontrolle über die Geldmenge und die Geldpolitik im Land behalten. Dies ist entscheidend, um Inflation oder Deflation zu steuern. Das Schwundgeld-Experiment in Wörgl hätte potenziell die Kontrolle der Zentralbank über die Geldmenge und die Wirtschaftspolitik beeinträchtigen können.
- Inflation und Wirtschaftspolitik: Während das Experiment in Wörgl kurzfristig positive wirtschaftliche Effekte wie eine verringerte Arbeitslosigkeit und eine erhöhte wirtschaftliche Aktivität zeigte, gab es Bedenken hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen auf die Inflation und die Stabilität des Finanzsystems. Die Einführung alternativer Währungen könnte zu einer Fragmentierung des Währungssystems führen, was wiederum die Macht der Zentralbank und die Steuerung der Geldpolitik erschwert.
- Präzedenzfall: Wenn das Experiment in Wörgl erfolgreich und unkontrolliert weitergeführt worden wäre, hätte dies einen Präzedenzfall für andere Städte oder Regionen geschaffen, ähnliche Experimente durchzuführen. Dies hätte zu einem unkontrollierten Wachstum von verschiedenen lokalen Währungen geführt, was die Einheitlichkeit und Stabilität des nationalen Währungssystems in unvorhersehbarem Ausmaß bedrohen könnte.
Diese Gründe führten schließlich dazu, dass die österreichische Zentralbank das Experiment beendete. Obwohl das Experiment kurzfristig erfolgreich war, standen die langfristigen Risiken und die Notwendigkeit der Zentralbankkontrolle im Vordergrund der Entscheidung.
Andere historische und moderne Beispiele
Neben Wörgl gibt es weitere Beispiele für Freigeld-Experimente, darunter die Nutzung von Schwundgeld in einigen Regionen Deutschlands während der Hyperinflation in den 1920er und 1930er Jahren. Beispielhaft steht hierfür die “Wära”.
In den USA wurde das Konzept von ökonomischen Theoretikern und lokalen Gemeinschaften aufgegriffen, jedoch hatten diese Experimente nur begrenzten Erfolg und Akzeptanz.
In jüngerer Zeit wurden ähnliche Konzepte auch in Form von Regionalwährungen oder digitalen Experimenten getestet, wie etwa dem sogenannten „Chiemgauer“ in Bayern.
Schwundgeld in der modernen Wirtschaft
In der heutigen Wirtschaft wird Schwundgeld zunehmend als mögliche Alternative zu herkömmlichen Währungen und digitalen Zahlungsmethoden betrachtet. Digitale Währungen und die Blockchain-Technologie schaffen ganz neue Möglichkeiten, das Konzept in modernen Wirtschaftssystemen zu integrieren.
Verbindung zu aktuellen Themen
Die Diskussion über Schwundgeld steht im Zusammenhang mit der breiteren Debatte über Geldpolitik und Wirtschaftsstabilität. In Zeiten von Wirtschaftskrisen oder extrem niedrigen Zinsen kann die alternative Währungsform eine innovative Lösung bieten, um die Wirtschaft zu stabilisieren und den Geldfluss zu erhöhen.
Schwundgeld als Lösung Sozial- und Transferleistungen
Meiner Meinung nach bietet das Konzept eine potenziell revolutionäre Methode zur Verbesserung der Effektivität von Sozial- und Transferleistungen.
Da dieses Geld kontinuierlich an Wert verliert, wenn es nicht ausgegeben wird, zwingt es die Empfänger, es zügig in den Konsum zu reinvestieren. Dies hat zwei wesentliche Vorteile:
- Zum einen wird sichergestellt, dass finanzielle Hilfen unmittelbar zur Deckung der Lebensbedürfnisse verwendet werden, anstatt auf Sparkonten zu verschwinden.
- Zum anderen kann die erhöhte Konsumneigung die lokale Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen stabilisieren.
Indem Schwundgeld als Ergänzung oder Alternative zu traditionellen Transferleistungen eingeführt wird, könnten Regierungen nicht nur die wirtschaftliche Stabilität fördern, sondern auch die soziale Gerechtigkeit verbessern, indem sie sicherstellen, dass die bereitgestellten Mittel direkt denjenigen zugutekommen, die sie am dringendsten benötigen.
In größerem Umfang und als direkten Ersatz für eine größere Währung sehe ich die Implementation nach Gesell eher kritisch. Auf diesen Punkt werde ich aber am Ende noch einmal kurz eingehen.
Vorteile von Schwundgeld
- Ankurbelung der Wirtschaft: Der Hauptvorteil von Schwundgeld ist die Förderung der Geldzirkulation. Durch den eingebauten Wertverlust wird das Geld schneller ausgegeben und investiert, was die Wirtschaft ankurbeln kann.
- Vermeidung von Deflation: Schwundgeld kann dazu beitragen, deflationäre Tendenzen zu verhindern, da es den Anreiz zum Horten von Geld verringert und somit den Geldfluss aufrechterhält.
- Förderung lokaler Wirtschaften: Durch die Einführung von Schwundgeld auf regionaler Ebene können lokale Wirtschaften unterstützt und stabilisiert werden.
Nachteile von Schwundgeld
- Inflationsgefahr: Der kontinuierliche Wertverlust kann zu einer erhöhten Inflation führen, wenn er nicht richtig reguliert wird. Dies könnte dazu führen, dass die Kaufkraft der Währung in unangemessener Weise und stärker als gewollt sinkt.
- Akzeptanzprobleme: Das Konzept könnte auf Widerstand stoßen, insbesondere von Nutzern, die an traditionelle Geldsysteme gewöhnt sind und Bedenken hinsichtlich der Stabilität und Akzeptanz haben.
- Komplexität: Die Verwaltung und Implementierung eines Schwundgeldsystems ist komplex und erfordert ständige Überwachung und Anpassung.
Praktische Herausforderungen
Neben den bereits genannten Punkten gibt es auch praktische Schwierigkeiten bei der Einführung von Schwundgeld. Die Notwendigkeit regelmäßiger Gebührenzahlungen kann administrativen Aufwand verursachen. Darüber hinaus müssen Händler und Verbraucher das Konzept akzeptieren und bereit sein, sich auf ein neues System einzulassen, was oft auf Widerstand stößt.
Wer profitiert von Schwundgeld?
Die alternative Währung könnte theoretisch vor allem diejenigen in der Gesellschaft begünstigen, die ein hohes Maß an Liquidität benötigen oder von einer schnellen Geldzirkulation profitieren. Dazu gehören:
- Kleine Unternehmen und Einzelhändler: Diese Gruppen könnten von einer erhöhten Konsumfreudigkeit der Verbraucher profitieren.
- Arbeitnehmer: In Zeiten wirtschaftlicher Stagnation könnten durch Schwundgeld geförderte Investitionen und Konsum zu mehr Arbeitsplätzen und höherer Beschäftigung führen.
Wer wird durch Schwundgeld benachteiligt?
Auf der anderen Seite gibt es auch Gruppen, die durch das Konzept benachteiligt werden könnten:
- Sparer: Menschen, die Geld für langfristige Ziele sparen, würden durch den systematischen Wertverlust von Schwundgeld Verluste erleiden.
- Investoren: Ähnlich wie Sparer könnten auch Investoren Schwierigkeiten haben, wenn ihre Anlagen durch negative Zinsen oder Umlaufgebühren an Wert verlieren.
- Höhere Einkommensgruppen: Personen mit hohen Einkommen, die tendenziell mehr sparen und investieren, könnten stärker vom Wertverlust betroffen sein.
Fiatgeld als modernes Schwundgeld
Ein Argument, das manchmal angeführt wird, ist, dass Fiatgeld in gewisser Weise bereits wie Schwundgeld funktioniert, da es durch Inflation an Wert verliert. Jedoch ist dieser Wertverlust nicht systematisch und kontrolliert, sondern das Ergebnis wirtschaftlicher Faktoren und Geldpolitik.
Einen Wertverlust erleben wir aber bei beiden Währungsformen. Durch die Tatsache, dass das Schwundgeld diesen so klar und offen kommuniziert, würden sich eventuell mehr Menschen mit den Themen Investieren und Wertaufbewahrung beschäftigen.
Wie Schwundgeld funktionieren könnte
Als ich das Konzept des Schwundgeldes kennengelernt habe, musste ich mir erst einmal die Frage stellen, ob diese Währungsform kapitalistischer oder weniger kapitalistisch ist, als die, die wir aktuell benutzen. Ehrlich gesagt habe ich mich immer noch nicht festlegen können. Schwundgeld ist einfach anders.
Dass die Funktion der Wertaufbewahrung bei Schwundgeld vermutlich noch stärker verloren geht als bei Fiatwährungen, wäre nicht das Problem. Hierfür würden Menschen vermutlich vermehrt auf Gold oder Bitcoin zurückgreifen.
Grundsätzlich halte ich eine funktionierende Währung, die auf dem Konzept des Schwundgeldes basiert, für vorstellbar. Wie bestimmte Dinge, wie beispielsweise die Verzinsung von Fremdkapital, im Detail mit Schwundgeld funktionieren würden; darüber müsste ich mir noch ein paar Gedanken machen.
Oberflächlich klingt das nicht sehr komplex, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto komplizierter erscheint es. Letztlich müsste die Wirtschaft eines Landes auch in der internationalen Makroökonomie bestehen können, wobei viele Details berücksichtigt werden müssen. Fazit: Das Konzept bleibt ein interessantes Thema für ökonomische Diskussionen und zukünftige Experimente.
Wenn du dich für Währungen interessierst, gefällt dir vielleicht auch mein Artikel über unser aktuelles Geldsystem.
Vielen Dank für’s Lesen
Moritz